BRIEFKASTEN
I. Lieber Lager-Onkel ! lierrliche Ideen, die Du uns in Deinem letsten Brief gegeben hast ! Sogar gescheite Kdpfe mussten staimen, als sie von PLANTAGO LANCEGLATA lasen, und ich selbst habe mir schon vorgenommen, desnachst eine kleine Apo* theke anzulegen. Auch die anderen Ideen ha* ben schon in diesem Oder jenem Gehirn V.urzeln gefasst, und die Resultate werden gewiss nicht mehr lange susbleiben. Ja, nur ein On* kel kann halt bo zu seinen Kameraden ins Herz sprechen. Du kasnst Dir kaum vorstellen, was wise* re Al ten und Jungens taglich zurecht schaf* fen. Einfach aus Nichts zaubern sie ihre Kunstwerke hervor. Da erscheinen bald Tische, bald Stiihle und sonstige 3inrichtungen in den unmoglichsten Loden, als ob sie die Hein* zelmannchen übemacht gemacht hatten. Und seitdem die Geruchte von nepatriierung und von Umzug in ein neues Lager wie durch den Wind kamen, baut man auch Reisekoffer in Ms* sen* Die Geldstuck© rasseln nur so in Gregors MSbelwaren-Geschaft, und Hans-Henning,druben im braunen Zelt, arbeitet sich auch schon zum Gross-Lieferanten und Geschafts—Konkurrenten ernpor. Dabei macht natiirlich die Kentine ein Riesen—Geschaft mit tyerkzeug, Schrauben, Scharnieren und Schldssem, indessen der Tag, an dam der letzte Hammerschlag verstummen
sollte, noch lange nicht zu dammern scheint. Nichte-aesto—weniger hat Charlie schon ein kolossales keisefieber, seiteem er seine Fahrkarte nach Hamburg besitzt, under ver* hehlt nicht, dase seinetwegen die Raise schon morgen bosgehen kann.
Auch die Geistesbeschaftigten sind schwe; bai der Arbeit. Stelle Dir bloss vor, was es da fur schlaue Kopfe gibt. Da bin ich zufalligerweise einmal vor der Kantine vorbeige*
kommen und habe ein Gesprgch vemommen, das sich so anhdrte wie die Worte "Plantago lanceolate*’. Mir blieb beinahe der Atom stehen, als ich mich erinnerte, dass ich in einem deutschen Lager war. - Und es ist wahrhaftig eine Froude, zu sehen, wie sich immer noch manche IMhe geben, urn Deutsch zu sprechen,und andere, die sich die Zeit nehmen, urn unsere Uuttersprache und auch andere Gegenstande zu
lehren. Ja es isc erstaunliah, wenn man be*
denkt, mit wieviel Srfahrung, Wissen und Konnen wir taglich in unserem verhaltnismassig kleinen Lager verkshren. - Bei Geheimrat Kurt kann man sich bei Tag und Nacht jede Auekunft tiber Ackerbau und Viehzucht einholen. Von den Buchfuhrern gibt es schon bo viele, dass man die Lehrer von den Lehrlingen nur noch erkennen wiirde, wenn die einen ihr Diplom st?indig hinter dem Bleistift in der oberen V.estenta* sche Oder iiber dem Ohr triigen. Ffir Partnered braucht man sich nur an die schon bekannten Spezialisten zu wenden, und dann steht noch die 70-jahrige Manning Onkel Jonas zur Verfiigung. Dann kommt die unubertroffene 'Srfahrung unserer Pflanzer aus den Tropen, ein Schatz, den keiri Buch zu fassen vermag. Von den Sprachen, na, da hat man die Auswahl von Platt—Deutsch, Siichsisch und Schwabisch bis zu den Dialekten unserer Axe-Genossen, einschliesslich Japanisch. Dann gibt es Kuna tier und Paehleute, Juweliere, Kaschinisten, Slektriker, Schreiner und Spangler, Zimmerleute und Baumei&ter, ilalermeister und Barbiere. Dur der Schuster hat uns inzwischen verlassen — aber die Schusterei überlassen wir ja so-wie-so dam "King George”. Ja, Schlosser, Schmiede, Heizer und Koche, Backer, Fleischer urat* ler", das alles Ist vertreten, solang das Material nicht fehlt; nicht zu vergessen Schneider, Weber und "Waschfrauen”, Sohauspieler und
< .ontgenexner® ten, Seefah® rer und Him® melspiloten, Ath® leten und • usiker. Am schlimmsten ergeht es also dem Kaufmann, der nur ausserst selten zu Hilfe gerufen wird, da fast jeder seine GeschSfte selbst er® ledigt und die Kanti® ne ein I’onopol hat. Hochstens honnte noch ein ge schwatziger A® gent ein paar Gro® schen mit seinem Mundstuck verdienen - - aher das ist unge®
fahr alias. — Und schliesslich noch der organisierte Arbeits® dienst, der jeden Mann kostenlos ein® reiht, auf dass Erie® de und Ordnung heir® schen und ja keine Arbeitslosigkeit ent® stehe. — Un:'; wo gibt es keine Politiker ? Auch hier im Lager mils sen sie manchraal etwas lauter reden
als gewohnlich, um die feindliche Propaganda nicht überhand nehmen zu lassen.
Aus irgendwelcher rnenschlichen Schwache ziehen noch die moisten vor, ihr Konnen und Wissen im stillen Khmmerlein zu verbessern. - Da sitzt, zum Beispiel, Herr Hessmann in sei® nem Heiligtum — im Schulzimmer — und schwitzt an einem Doktor-Titel. Der Gregor liebt beim heissen Kessel sich ein Nest zu bauen und da® bei seinen Rheumatisnius hochzuziehen. Meder ain anderer wandert mit schwarzen Sonnengla® sern und einem Buch unterm Arm hinaus auf die Wiese, urn sich die vier Backen zu sonnen und neue Ideen zu kriegen. — So verschieden sind die Menschen ! Und jeder glaubt seinen Himmel da zu finden, wo seine Interessen lie® gen und wohin ihn seine kleinen Schwachheiten ziehen. Und wer von uns hat keine Schw&che ?
Dein deutscher Kamerad.
11. Lieber Lager-I.effe ! Nun schau einer so et> was an ! Ich hab* mic] so gefreut, als ich Deinen ersten Brief las. Donnerwetter nochmal ! Da kann ich aber stolz sein, dass ich einen so schlauen Neffen habe. Wie heisst Du denn ? oder vielmehr, wie hat Die] denn Dein l iitterchen genannt, als sie Dich auf den Schoss nahm ? Y.eisst Du, das inter® essiert Deinen JagerOnkel kolossal, Er hat namlich Neffen und Niohten sehr gerne, und ganz beson® ders, wenn sie schon brav sind. Aber was machst Du Dir doch fur Sor® gen über das armseli® ge Loch im Lagergeld! Da kann doch das loch nichts dafiir, dass es gerade- mitten in die Geldstiicke hineinkam? Ich weiss schon, wie
gut Du es mit Deinem Lagerfuhrer me ins t, und ganz richtig so. Ich bin ganz und gar fur Dei® ne Rat- und Vorschlage; aber Du musst das Loch bezw. den Sinn des Loches auch richtig verste® hen. Du weiss t, fteutzutage wird alles so schon erklart und ausgedacht, dass sogar ein Loch
Freude machen kann. Du siehst, da brauchen sich unsere Juweliere nun keine Sorgen mehr
zu machen, dass sie das Ebenbild unseres La® gerfuhrers verunehrten, wenn sie eines Tages selbst ein Loch durchbohren wollten; wenn auch ihr Loch noch viel schbner und artistischer
ware. - Und dazu sind die Gegenmassnahmen, die Deutschland treffen konnte, wunderleicht. Ja, wenn es schliesslich sein muss, macht halt der "Michl” zwei Locher drin, und die Sache
ware ja — naturlich — gar nicht schon,gelt !- Und das Kollektieren ist auch etwas ganz neues und ganz altes. Die Menschen sind so ge® boren, mit Fingem, zum Kollektieren. Aber schon mein Grossvater sagte, noch ehe die neu® en Versuche von Kollektivfarmen in Woge kamen, dass man nicht kollektieren soil, wo ein ande® rer gesat hat. Und,ich glaube, er war gar
■* nicht so verkehrt; Wa.d dabei hatte er auch nicht auf der Universitat ge» lernt, wie er seine Mitmanschen zur Bummhei t orziehen sollte. - Ich habe auch oft daruber nachgedacht und gefunden,dass sich alles Faterielie wie eine algetraische Gleichung verhalt: Minimst Du einem zuviel, so hat er achliess"’ ich zu wenig. Sobaid nicht Wert mit gleldem ’ ert vergolten wird, entstehen inmer Unzufriederheiten und Kriege auf dieser Y/elt. Du hast also auch schon vom Krieg etwas gehort. Ja, mein lieber Meffe, das ist etwes ganz Grauenhaftes. Da kollektiert man auch so was wie Du meinst, aber in ganz grossem St 11, und unzahlige Leute gehen dabei tot® Und das kommt immer, wenn man irgendwie kollektieren will, ohne d;-.s rleichgewicht ineiner erwahn® ten Gleichung teizubehalten. Und wenn Dein Freund arbeitet, und einer von.dxaussen kommt und kollektiert, ohne zu arbeiten Oder irgendwie gerecht zu vergiiten ot er zu entschadigen, dann fuhrt es am Eride auch zum Krieg* — So ist ungefahr das Verbaltnis der Gerechtigkeit. Ich wiirde ja auch ganz gerne kollektieren, und wer auf der Welt wiirde nicht ? Aber die einzigen Platze auf der Welt, wo Du noch frei wie die Vogel kollektieren kannst,sinds die Wiiste, der Urwald,und das weite Meer, drei Mellen vom Land enifemt. Soiltest Du aber noch einen anderen Platz Linden, ohne in die Staatsgewalt zu geraten, so teile es mir friihzeitig mit, und wir gehen zusammen. Dein , Lager-Onkel.
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Deutsche Stacheldraht-Post, Issue 100, 20 February 1944, Page 5
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